Moskau - Riesig, Verwegen, Wunderschön

Karim Ladak


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Es sind ganze 35 Monate vergangen seit meiner letzten Reise nach Moskau. Diesmal bin ich auf der Durchreise. Dennoch. Es ist komisch wie die Erinnerungen nur so hervorsprudeln wie aus einem Feuerwehrschlauch.

Das erste Mal habe ich Moskau 1980 besucht, kurz vor den Olympischen Spielen – während ich in Paris lebte. Mein größter Albtraum war es damals, dass die Polizei eine Metallschiene finden würde, die bei einer Operation in meinen Rücken eingesetzt worden war. Ich befürchtete, sie würden vermuten, ich versteckte etwas, und es herausziehen. Es passierte nicht. Aber die Erinnerung, die ich zurückbehielt, war nüchtern – alles schwarz und weiß, überall lange Schlangen vor den Geschäften, mangelhafte Versorgung, hässliche Beton-Wohnblocke mit Wohnungen in der Größe von Schuhkartons, nackten Glühbirnen und ohne Vorhänge. Alles in allem war es ein sehr zurechtgefeiltes Touristenerlebnis durch Moskau und St. Petersburg. Nach 2 Wochen war ich froh, wieder weg zu sein. Allerdings mit vielen Geschichten…


26 Jahre später. Und ich wurde gefragt, ob ich bereit wäre, eine internationale berufliche Herausforderung in Moskau anzunehmen – eine großartige Karrieremöglichkeit. Wieder etwas später: Nach ausgiebigem Abwägen von Für und Wider entschied ich mich schließlich, die Rolle anzunehmen. Ich kannte keine Menschenseele in der Stadt, hegte einige Zweifel und sorgte mich etwas, dass ich einsam sein würde, aber ich sagte dennoch Ja. Schließlich hatte ich einen solchen Schritt bereits früher in einigen Ländern gewagt und es niemals bereut.

Ich schaute nicht zurück. Ich liebte Moskau. Würde es dir nicht auch so gehen?

In ihrem Format ist die Stadt vergleichbar mit den besten der besten – mit New York, Paris, Hong Kong, Rio, Istanbul. Die Stadt hat einen einzigartigen Charakter, eine Seele.

Moskau hatte sich inzwischen in eine andere Stadt verwandelt, in der es nicht nur keine langen Schlangen mehr gab. Stattdessen konnte man alles kaufen, was man wollte und das direkt vor der Tür und 24 x 7. Pizza, ein Klavier, Haustiere, alles – sogar nicht jugendfreie Dinge, ähem…

Ich wohnte auf der Tverskaja, der Hauptstraße durch die Stadt. Es ist unmöglich sie zu überqueren, der Verkehr rollt rund um die Uhr. War es sicher? Ja. Ich hatte niemals irgendwelche Schwierigkeiten. Ich liebte mein Apartment von dem Moment an, als ich es das erste Mal betrat: Großartige hohe Decken, mit Innenhof, einem schönen Eisentor und mitten in Moskau. Die Patriarchenteiche in Fußwegentfernung, ebenso die Metrostation Puschkinskaja – Tor zum Metrosystem, das wie eine unterirdische Kunstgalerie erscheint, Gärten, Parks, Geschäfte. Eine großartige Adresse!

Einige Menschen nehmen Moskau als grau, kalt und unnahbar wahr. Das Gegenteil entspricht der Wahrheit. Die Stadt ist ein Paradies für Fußgänger, es gibt ein wunderbares Angebot an Dingen, die man unternehmen kann, und ja – die Menschen sind manchmal etwas scheu, wenn du kein Russisch sprichst. Aber sobald du diese Barriere durchbrochen hast, findest du im Großen und Ganzen sehr warmherzige und wirklich liebenswerte Menschen. Ist das nicht überall auf der Welt so?

Die Straßen von Moskau ähneln den Straßen von Paris oder Stockholm. Du willst einfach nur laufen und laufen und laufen. Mit ihrem Alter von fast 900 Jahren ist die Stadt eine Lehrmeisterin für eine junge Stadt wie St. Petersburg, die halb so alt ist und sich nach dem Vorbild von Ludwig dem 14. zu gestalten versuchte. Moskau ist organisch gewachsen und verbindet den Osten und den Westen. Ich sage das nicht nur, weil ein Großteil der Bevölkerung aus Ländern wie Georgien eingewandert ist. Sogar, wenn man den Kreml mit seinen Kirchen besucht, wird es offensichtlich, dass die Traditionen eine wahre Mischung sind aus östlich, westlich, konventionell und zeitgenössisch.

Der Kreml. Er hat eine eigene Aura. Wenn man sich ihm nähert, spürt man etwas im Inneren und man ist beeindruckt von der Pracht und Größe. Wie der Vatikan in Italien, der Shwedagon in Myanmar oder Petra in Jordanien – eine charakteristische Sehenswürdigkeit der Extraklasse.

Außerdem gibt es in Moskau alle Künste – Oper, Musik, Bibliotheken – und eine Stadt gefüllt mit Menschen mit einem riesigen literarischen Appetit. Natürlich gibt es das Bolschoi, eine weltweit berühmte Theater- und Ballett-Kompanie. Aber es gibt auch die Tretjakow-Galerie, die ich nur mit einem Seufzen beschreiben kann – eine solch unglaublich reiche Kunstausstellung. Wie könnte ich nicht hier wohnen?

Dann findet man natürlich die Restaurants. Die raffiniertesten, teuersten, abgehobensten Lokale, die man sich vorstellen kann. Die Innenausstattung des Restaurants „Turandot“ zum Beispiel hat 50 Millionen Dollar gekostet. Ich könnte die Liste weiterführen… Die Menschen sind teilweise so reich, aber sie putzen sich nicht heraus, versuchen nicht, zu beeindrucken. Es gibt darüber sogar einen Witz: Wenn du jemanden aus einem unvorstellbar teuren Auto aussteigen siehst, der in einem Zegna Luxus-Anzug herumläuft, dann ist es höchstwahrscheinlich der Fahrer. Der Eigentümer des Wagens wird wohl zerrissene Jeans und T-Shirt tragen. Vergiss nicht: Es gibt in Moskau keine Dollar-Läden, sondern Millionen-Dollar-Läden.

Die Bäder in vielen Hotels und Restaurants sind eleganter und wahrscheinlich teurer als jede Wohnung, in der ich jemals leben werde… Ich sage es ja nur.


Wie jede Stadt, hat auch Moskau eine „Unterwelt“ und seine Schattenseiten. Ich sehe die Welt nicht durch eine rosarote Brille, doch ich musste irgendwie die Perspektive eines fremden dokumentieren, die nun mal sehr positiv ausfällt. Moskau hat bei mir eine Spur hinterlassen und ich werde für die Stadt immer eine Schwäche haben. Sie hat so viel zu bieten: das Alte und das Goldene, das Funkeln und das Glamouröse.

Besuche die Stadt. Bewerte sie nicht aus der Ferne. Vertraue mir – du wirst sie lieben.


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