Von Kairo in die Wüste

Eine außergewöhnliche Geschäftsreise

Karim Ladak

© Karim Ladak

Sommer 2010. Es war kurz vor Mitternacht und ich bestieg gerade meinen Flug von Bukarest nach Kairo. Es war eine Geschäftsreise, bei der ich den ägyptischen Teil meines neuen Teams kennenlernen wollte. Gegen 3 Uhr morgens landeten wir in Kairo und es hatte den Anschein, als hätten Hunderte von Menschen entschieden, genau zu diesem Zeitpunkt das gleiche zu tun. Naja, ich hatte gehofft, in den frühen Morgenstunden würde die Einreise schnell gehen. Nein. Das ist eine Sache, die sich in meinen Leben nicht geändert hat. Falsche Schlange, falsche Vermutung, falsche Zeit. Egal – ein neuer Tag, ein neues Abenteuer. Hallo Ägypten, auf Wiedersehen Schlaf… :)

Am nächsten Morgen war ich im Nu wach. Man sagt, der erste Eindruck zählt, also trug ich mein bestes hellblaues Hemd und einen schicken Canali-Anzug und schnürte glänzende Schuhe. Im Laufschritt ging es zur Lobby, um dort den Kollegen zu treffen, der den Tag organisiert hatte. Ich erinnerte ihn, dass ich nur am ersten Teil der Veranstaltung teilnehmen konnte. Den inoffiziellen Teil „offsite“ musste ich leider ausfallen lassen, da ich noch so viele Dinge zu erledigen hatte. Es war Arbeit, die nicht warten konnte, also musste ich mich entscheiden. Die Kamele und Sanddünen waren schon Jahrtausende da, es bestand also keine Eile, sie gerade jetzt zu sehen. Mit dieser Vereinbarung fuhren wir zu einem anderen Hotel, wo der geschäftliche Teil stattfand. Nach dem Mittagessen wurde ich einem Bus zugeteilt. – Es gab kein Entkommen.

Es war glühend heiß, also wechselte ich in das T-Shirt, das ich dabei hatte. Im Bus entschied ich mich auch, mit einem Kopfschal herum zu probieren. Das klappte gut und meinen neuen Mitarbeitern gefiel es. Also probierte ich alle verschiedenen Richtungen aus, die um mich herum vertreten waren – jordanisch, marokkanisch, ägyptisch, türkisch. Wow. Mir fiel auf, wie unglaublich vielfältig dieses Team war.

Um 15 Uhr, nachdem wir immer tiefer in die Wüste fuhren, gab ich meine Hoffnungen auf WLAN endgültig auf. Ich war am Ende der Welt mit 60 neuen Gesichtern und Sanddünen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Die Busse hielten für eine Pause. Meine Qualen nahmen zu. Es war heiß. Ich hatte Arbeit zu erledigen. Ich trug eine Anzughose. Insgeheim hoffte ich immer noch wir würden in einer Oase mit einem netten gepflegten 5-Sterne-Hotel landen.

Nein, falscher Ort, falsche Vermutung. Jeeps blieben im Sand stecken und ich realisierte, dass wir uns auf einer Wüstensafari befanden. Abenteuer. Ich beschloss ‚loszulassen‘ und das Leben einfach geschehen zu lassen. Bald kamen wir an unserem Halb-Stern-Reiseziel an. Ein Zelt, einige Stühle, ein Transporter mit einem Stromgenerator, ein Lastwagen, Grill-Stände, Sandboards und ein blau-weißer Stoff, hinter dem man sich für die Wüstentoilette verbergen konnte. WLAN erschien wie ein entfernter Traum, eine Fata Morgana.

Ich gab meine Arbeitsbesessenheit auf und ließ meinen Geist umher schweifen. Es ist unglaublich was passiert, wenn man alle Kontrollfilter ausschaltet und das Leben fließen lässt. Ich sah die allerschönste Umgebung – um mich herum war einer dieser seltenen aber wunderschönen Bildteppiche unglaublicher Vielfalt. Menschen aus Südafrika, Eritrea, Jordanien, Saudi-Arabien, Nigeria und Marokko. Menschen aller Altersgruppen aus unserem Team des Mittleren Ostens und Afrika. Ich unterhielt mich mit ihnen, verstand ihre Lebenswege, ihre Ziele und ihre Hoffnungen und ich war sehr berührt. Von ihrer Herzlichkeit und ihrer beeindruckenden Klarheit inmitten von komplexen sozialen und politischen Strukturen. Meine Lieblingsgeschichte war die einer jungen Frau, die in ihrer Arbeit auf viele verärgerte Kunden traf. Also nahm sie es auf sich, ein Training zur Aggressionsbewältigung aufzubauen. Bravo! Ich lernte einige neue Dinge. Es war immer noch heiß, aber ich hatte den Versuch aufgegeben, meine Schuhe und Hose sauber zu halten. Mein einziger Gedanke war irgendwann, wie traurig es ist, dass in großen Teilen der Medien all diese Menschen, Erfahrungen und Kulturen unter dem etwas bedenklichen Überbegriff ‚Krisenländer‘ zusammengefasst werden.

Gegen 17 Uhr sah ich mich um. Das Team war auf den Dünen und alle amüsierten sich prächtig. Sie kletterten bis ganz nach oben und rutschen fröhlich und von einem kleinen Staubwirbel begleitet wieder nach unten – komplett unbeschwert. Ich sah einige Jeeps in waghalsiger Art und Weise die Berge erklimmen und dann in wenigen Augenblicken wieder nach unten rasen. Ich fragte gar nicht nach Sicherheitsgurten. Ich wurde Zeuge von gewagten Aktionen und einer eindrucksvollen mitreißenden Stimmung. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt, als ich es liebte Baustellen zu besuchen und auf Sandberge zu klettern. Es hat etwas Wunderbares, von oben bis unten voller Sand zu sein – das hat nichts mit Rebellieren zu tun. :)

Als sich der Abend entwickelte, wandte ich meine Aufmerksamkeit etwas zu, das mir noch mehr am Herzen liegt. Singen. Neben einem alten Lastwagen stand eine Gruppe von Beduinen-Sängern und ich war von ihren Stimmen fasziniert, davon wie sie im Sand sitzen und in einem einzigen Augenblick die Wüste in einen Ort mit einer Seele verwandeln konnten. Ich lief hinüber und stand bei ihnen, beobachtete sie in der Einsamkeit. Ich hörte mit allen Sinnen zu und es brachte mein Herz zum Klingen. Ich sah, wie Leute die Musiker einkreisten und anfingen zu tanzen. Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, aber oft auch gemischt.

Das war schlicht und einfach der unvergesslichste Moment der ganzen Wüstensafari. Ich hielt den Moment auf einem Foto fest, das für die nächsten Monate mein Bildschirmhintergrund am Computer werden sollte. Nach etwa einer Stunde wurde die Musik zu einer wahren Jam-Session und der Sänger mit dem lilafarbenen Gewand stand auf und tanzte so als ob die Gegenwart das einzige war, was zählte.

Ich war sprachlos. Man braucht kein Stadium mit 100.000 Menschen und die Rolling Stones um Magie zu erleben. Schönheit ist da, wo du sie findest.

Tatsächlich sah ich einen der schönsten Sonnenuntergänge – er war überall. Alle umkreisten das Zelt, das Knistern der Grills, freundliche Gespräche, Kerzen und Lampen. Das Essen war mir nicht wichtig (und das sagt viel über jemanden, dessen größte Schwäche das Essen ist). Ich erlebte Harmonie, eine Gemeinschaft, Frieden und Lebensfreude. Ich spazierte ein wenig abseits zu einem ruhigen Ort und sammelte meine Gedanken. Am Himmel funkelten der Mond und unzählige Sterne voller Hoffnung und tanzten zur Musik. Ich genoss diese Erfahrung und war dankbar, dabei zu sein.

Später am Abend als wir zurückfuhren saß ich im Minibus mit meinen marokkanischen Freunden und versuchte ein Netz zu bekommen. Wie der Zufall es wollte, hatten mich mehrere Leute mit dringenden Anfragen zu kontaktieren versucht. Für mich als jemanden, der stolz darauf ist ständig erreichbar zu sein, war es eine fantastische Lektion. Wir sind alle entbehrlich. Die Probleme wurden von jemand anderem gelöst. Ich habe meine Lektion gelernt: Wir müssen alle mal abschalten und uns erlauben das Leben in seiner vollen Schönheit wahrzunehmen.


Weiterlesen:
Lies auch Karim's faszinierenden Bericht über sein Wochenende in Kamtschatka.


Hier noch einige Fotos von dem unvergesslichen Tag in der Wüste:


...

An einem Mittwoch Abend...

© Karim Ladak

...

Die Magie des Rhythmus erreicht sie alle....

© Karim Ladak

...

Sehr kreative Badezimmer

© Karim Ladak

...

Und dann fing die Musik an zu spielen...

© Karim Ladak

...

Und dann stand der Mann auf und tanzte...

© Karim Ladak

...

Zwei Stühle warten auf Besucher

© Karim Ladak







Folge Dreampions @

AGB | Datenschutz | FAQ | Impressum | Kontakt
© 2016-2023 Dreampions