Das Geheimnis vom Glück in eisiger Wildnis und Einsamkeit

Jörn Theissig

© via: Jörn Theissig

Warum nur tust du dir das an?
Wenn Menschen etwas tun, was nur wenige andere tun, wird ihnen unvermeidlich die Frage gestellt: „Warum tust du dir das an?“ Bei mir ist dies ganz genauso. Schon oft wurde ich gefragt: „Was bringt dir das, ein Rennen wie den Yukon Arctic Ultra (YAU) anzugehen, mit dieser unglaublichen Belastung, 700 Kilometer in der einsamen kanadischen Wildnis bei Temperaturen von bis zu -50 Grad zurücklegen?“

Eines vorweg: In vielen Sportarten werden Athleten durch hohe Preisgelder motiviert. Die gibt es beim YAU nicht – tatsächlich bezahlen meine Kollegen und ich sogar noch dafür, an diesem Erlebnis teilnehmen zu können. Warum dann also? Manche Leute wollen ihre persönlichen Grenzen immer weiter austesten und sehen, zu was sie fähig sind. Wieder anderen geht es darum, dass sie eine Art Bucket-Liste abarbeiten wollen von Abenteuern, die sie bestanden haben. Das gehört nicht zu meinem Traum, weil es mir zu ich-bezogen ist.



Zuhause in der einsamen Idylle aus Eis und Schnee
Das Fundament meiner Begeisterung ist einfach: Ich habe Spaß daran, in Eis und Schnee zu sein, und ich möchte in meinem Leben viel Spaß haben. Für mich sind es einfach die Liebe zur Natur, besonders zu Eis und Schnee, und die besonderen Erfahrungen, die ich in der Wildnis und in der Einsamkeit machen kann, die mich so begeistern. Ich sage mir immer, dass ich mit einem gewaltigen Respekt vor Mutter Natur auf diese Touren gehen muss. Wenn du diesen Respekt nicht hast und eine große Expedition mit dem Gedanken angehst, diese nur abzuhaken und auf deine Erfolgsliste zu setzen, dann solltest du lieber zuhause bleiben, denn dann kann es auch gefährlich werden.

Ich liebe die Natur und habe die Erfahrung gemacht, dass man nicht einfach so aus dem Büro oder dem Flieger kommen kann und dann los läuft. Man muss Kontakt zur Natur aufnehmen. In der Akklimatisierungsphase für den Yukon-Arctic habe ich nicht versucht, mich an die Temperaturen zu gewöhnen, sondern ich habe den Schnee in die Hand genommen und mich mental auf meine neue Umwelt, mein neues Zuhause eingestellt. Wir haben uns praktisch miteinander angefreundet und als es dann los ging und ich an der Startlinie stand, gab es vor Freude kein Halten mehr. Ich habe dann auch kein Lampenfieber oder eine Form von Aufregung oder gar Angst vor der Herausforderung. Nein, ich freue mich einfach, dass es losgeht.

Genuss pur
Und die Natur gibt mir so unheimlich viel zurück, dass es mich regelmäßig fast umhaut. Der Yukon ist dann für mich wie eine seelische Tankstelle, an der ich mich wieder richtig aufladen kann. Die Einsamkeit, die Stille, dieses Unberührte in der Natur sind unglaublich. Oder die unterschiedlichen Lichtverhältnisse des Eises, des Schnees und der Landschaft – berauschend! Da kann man sich kaum sattsehen. Nachts bin ich meist wieder um 1 Uhr aufgestanden, um die zahlreichen Polarlichter zu sehen, die ein einzigartiges Naturereignis sind. Genauso die Sonnenaufgänge. Jeder Tag brachte so viele Motive, die ich in mir gespeichert habe, da mir natürlich die Zeit zum permanenten Fotografieren fehlte.

Wenn man in dieser Natur ist, dann gibt es kein Stimmungstief, man ist geerdet und einfach begeistert. Es kommen ganz neue Gedanken, über Dankbarkeit, Demut und das Leben. Im Vergleich zu dieser riesigen, endlosen Landschaft, die es ja schon Jahrtausende in dieser Form gibt, merkt man erst, wie unbedeutend man selbst ist, aber auch wie unwichtig manche Probleme in Wirklichkeit sind. Man konzentriert sich auf das Wesentliche und bekommt zu alltäglichen Dingen einen anderen Bezug.

Fokus auf den Moment
Wichtig ist es in der Natur im Hier und Jetzt zu leben. Wo setze ich den nächsten Schritt hin, wie vermeide ich Risse in den eisigen Bereichen? Wie reagiere ich, wenn Neuschnee auf den Trail fällt, die Wege dadurch unklar oder gar unsichtbar werden? Ein falscher Schritt – schon könnte der Knöchel verstaucht sein und ich müsste das Rennen aufgeben. Du musst dich konzentrieren und alles um dich herum ausschalten. Und gerade dieses 100%ige Aufgehen in der Aufgabe, dieser Flow, ist etwas ganz Besonderes und im Alltagsleben auch sehr Seltenes.

Und die 14-15 Stunden am Tag, die ich laufe, werden auch niemals langweilig. Einerseits habe ich die schon erwähnte wunderschöne Natur um mich herum, aber auch mental muss ich immer auf der Höhe sein. Es gibt permanent etwas zu planen und zu überdenken. Je nach Wetter- und Temperaturlage muss ich mich für die richtige Kleidungsschicht entscheiden. Die Planung der Verpflegung ist ganz wichtig: Wann und was esse ich als Nächstes? Greife ich auf eigene Reserven zurück oder warte ich noch etwas, weil bald der nächste Checkpoint kommt? Wie sieht es mit meinen Wasservorräten aus? Wie lange halten die noch, bevor ich neues Trinkwasser vorbereiten muss? Es sind überlebenswichtige Fragen, die genau zu planen sind und dich zwingen, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Bereicherung und Vorfreude
Dies ist übrigens eine von vielen Fähigkeiten, die ich in der Natur anwende und die mir dann zuhause im Alltag auch wieder hilft. Ich liebe einfach den Wechsel zwischen dem Alltag und der Natur und versuche aus dem einen auch immer Rückschlüsse für das andere zu finden. Aber das klingt jetzt ein wenig so, als würde ich den YAU als ein „persönliches Entwicklungsprogramm“ ansehen – und das ist deutlich nicht so. Für mich ist es eine unglaubliche Freude, die ich jede Minute genieße. In den Tagen vor einer großen Expedition bin ich riesig begeistert und freue mich darauf wie ein Kind auf Weihnachten. Und als ich 2016 nach meinem erfolgreichen Yukon-Lauf wieder zurück in Deutschland war, sagten Freunde und Kollegen auch Tage später noch, dass meine Augen richtig strahlten, wenn ich von meinem Erlebnis erzählte.

Selbst jetzt, Monate später, hat sich daran eigentlich nichts geändert und ich freue mich schon auf die nächste Expedition, wohin sie mich auch immer führen wird.

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