Am Limit: Je mehr du leidest, desto größer ist das Glücksgefühl!

Wolfgang Kulow

© via: Wolfgang Kulow

Die Extremsportler Wolfgang Kulow und Jörn Theissig sind auf dem besten Weg sich einen Lebenstraum zu erfüllen, in dem sie den Baikalsee zu Fuß von Süden nach Norden überqueren. Viele Fans der beiden fragen sich, wie es möglich ist, derartige Anstrengungen zu überstehen. Vor der letzten Etappe passt daher heute ein Bericht, den uns Wolfgang vor der Abreise nach Russland formulierte.

Grenzerfahrung
Wenn ihr meine bisherigen Dreampions-Artikel gelesen habt, wisst Ihr bereits, dass ich schon einige extreme Abenteuer überstanden habe. Viele meiner Projekte sind für normale Menschen unvorstellbar. Die Anstrengung ist enorm und der Körper kommt irgendwann einfach an seine Grenzen. Manchmal merke ich das gar nicht in dem Moment, sondern es wird mir erst hinterher bewusst.

Ein besonderes Beispiel dafür erlebte ich beim „Race across America“. Das ist ein Radrennen über knapp 5.000 km durch die USA. Es führt von Portland in Oregon, am nordwestlichen Rande des Landes bis nach Pensacola in Florida, am Golf von Mexiko. Eigentlich nahm ich an dem Rennen teil, um das Land kennenzulernen. Ich wollte meine Energie aus der Natur ziehen. Am Anfang war das super. Da hat mir die Natur echt Kraft gegeben. Doch schon bald habe ich nichts mehr davon wahrgenommen.

Realitätsverlust
Nach 3 Tagen war ich mit meinem Geist auf einem anderen Planeten, nicht mehr auf der Erde. Durch Erschöpfung, Müdigkeit, Nahrungsdefizit und Schlafmangel war ich wie abgerückt. Ich hatte Halluzinationen. Der Körper machte irgendwie von selbst weiter. Doch mein Geist war nicht mehr voll in der Realität, auch wenn ich es selbst bemerkte. Du musst dir vorstellen, ich fahre am dritten Tag die Rocky Mountains hoch und ziehe den Kopf ein. Ich habe mir dann gesagt: „Du brauchst hier nicht den Kopf einziehen. Die Wolken kommen erst da oben und du bist hier unten!“ Doch eine halbe Stunde später habe ich wieder den Kopf eingezogen, weil ich den Eindruck hatte, ich fahre mit dem Kopf gegen die Wolkenkante.

Ein anderes Mal fuhr ich 100 Meilen geradeaus. Ich suchte irgendwie den Kontakt zu Menschen. Hinter mir war mein Pace Car mit den Leuten, die mich versorgten. Aber gerade in der Nacht, im Schummerlicht, erschienen mir manchmal die Briefkästen wie Leute. Wenn du nie richtige Leute siehst, dann hältst du irgendwann an. Die Crew fragt dann: „Warum hältst du an?“ In dem Moment sagte ich nicht: „Weil ich mich mit dem Briefkasten unterhalten will.“ Ich habe dann ja auch bemerkt, wie absurd das war. Also sagte ich: „Ich muss mal.“ Oder „Habt ihr war zu essen?“ Aber eigentlich war der Grund, dass ich dachte, die Briefkästen wären Leute, und ich wollte mich unterhalten.
Ein anderer Teilnehmer sagte mir, er hätte immer den Eindruck gehabt, auf einem Förderband zu fahren und gar nicht vom Fleck zu kommen.

Ein Schock
Meine Frau hat mich zu diesem Rennen begleitet. Das war auch für sie grenzwertig. Ich erreichte irgendwann einen Bereich, an dem sie mich nicht mehr wiedererkannte. Sie weinte und bekam Angst um mich. Ich riskierte Kopf und Kragen und merkte es selbst gar nicht. Hinterher habe ich einige Bilder gesehen, bei denen ich dachte: „Oh Gott, bin ich das wirklich?“ Ich war so etwas von im Eimer. Das Entscheidende war, dass ich mich in der Situation, als die Bilder gemacht wurden, so stark fühlte, als hätte ich die ganze Welt erobern können. In Wirklichkeit war ich ein Haufen Schrott.

Nur durch Zufall, durch diese Bilder, kam ich an einen Punkt, an dem mir ein Licht aufging, an dem ich merkte: Hier habe ich gedacht, ich wäre der Stärkste der Welt. Aber in Wirklichkeit war ich schon dabei, mich zu verabschieden. Das gab mir wirklich zu denken. Wenn du bei solchen extremen Sachen kein Team hast, das auf dich aufpasst und auch mal sagt: „Stopp, erst mal Schlafen und Essen!“, dann bist du manchmal so motiviert, dass du dich fast zu Tode arbeitest oder in große Gefahr bringst, ohne es zu merken.

Motivation über alle Grenzen
Wie kann es so weit kommen? Du kannst die Dimensionen eines solchen Rennens mit dem Kopf gar nicht wirklich verarbeiten. Du kannst dir also nur Zwischenziele setzen: Heute fahre ich 400 km, morgen 300 km. Du hangelst dich von Etappe zu Etappe, zumindest gedanklich, weil es eben keine Etappen gibt. Du musst es dir in Häppchen einteilen, sonst erdrücken dich diese Dimensionen. Beim 10-fach Ironman z.B. sagte ich mir: „Ich schwimme erst man 38 km und dann schaue ich, wie es dann weitergeht.“ Der entscheidende Punkt kam, als ich das Radfahren geschafft hatte. Da hatte ich schon zwei Disziplinen hinter mich gebracht, da hielt mich dann auch nichts mehr von den 422 km Laufen ab. Die sind zwar super bitter, aber du weißt, du startest nicht morgen noch einmal und auch nicht nächstes Jahr. Du bist jetzt so weit gekommen. Jetzt bringst du es auch zu Ende. Meine Strategie war zu sagen: „Ich muss nur noch 220 km Laufen, 200 km habe ich schon geschafft. Die Chance, so etwas zu machen, bekommst du nicht so schnell wieder. Du bist jetzt so weit gekommen, jetzt schaffst du auch noch den Rest.“ Ich spreche dann richtig mit mir selbst und versuche mich selbst zu motivieren oder auch zu korrigieren.

Entscheidend ist dabei, sich immer wieder selbst zu analysieren. Da muss ich mir schon mal sagen „Du lässt die anderen jetzt laufen, wie sie wollen. Du musst jetzt eine Nummer runter drehen, sonst kippst du hier um.“

Alles für das Glücksgefühl
Je mehr du leidest, desto größer ist am Ende das Glücksgefühl. Das sieht man auf allen Leistungsstufen. Wenn einer seinen ersten Marathon läuft, erzählt er hinterher bei Facebook, wie traumhaft alles war und wie glücklich er jetzt ist. Mehr geht fast nicht mehr. So ein Volksläufer muss bei seinem Marathon schon gut leiden. Doch je mehr er leidet, desto glücklicher und zufriedener ist er hinterher – zumindest für den Moment. Diese enormen Glücksmomente sind schon ein Phänomen. Fast so wie bei den Frauen mit der Schwangerschaft und dem Kinderkriegen. Da hält das Glück ja auch nicht nur für den Moment an, sondern für das ganze Leben.

Als ich beim „Race across America“ ins Ziel kam, war es bereits 6 Stunden nach Zielschluss. Das war sicher nicht der berauschendste Zieleinlauf. Es war schon keiner mehr da. Trotzdem werde ich diesen Moment mein Leben lang nicht vergessen – eben weil ich so sehr gelitten habe.

Ganz so hart wird es am Ende unserer Baikalsee-Tour nicht werden, aber ich bin mir jetzt schon sicher, dass es ganz besondere Momente für Jörn und mich werden, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Und wenn wir dann auf der Rückfahrt gen Süden auch mal die Füße hochlegen können, werden wir sicher Einiges zu erzählen haben und das stolze Lächeln kaum aus unseren Gesichtern bekommen.

Nochmals vielen Dank für eure Unterstützung unserer Expedition und speziell auch unseres Spendenprojekts (Betterplace.org/fundraising-baikalsee.")

Euer Wolfgang

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